Dienstag, 26. Mai 2009

Prokofiev 1. Vl.kz., Bartok Konzert für Orchester, Bartok Sprachcharakter und Idiom, Mercatorhalle Duisburg

© Gernot von Schultzendorff 2009

BLOG vom 26.4.2009


Konzert des WDR Sinfonieorchesters Köln in der Mercatorhalle Duisburg am 25.4.2009

Solistin: Alina Pogostkina, Violine

Dirigent: Thomas Hengelbrock


Programm

  • J. Haydn: Sinfonie C-Dur Hob. I:60 „Il Distratto“
  • S. Prokofiev: Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19
  • B. Bartók: Konzert für Orchester

Daran anknüpfende Themen:

  • Interpretation und das Üben etüdenähnlicher Passagen
  • Sprachcharakter und Idiom bei Bartók
  • Akustik der Mercatorhalle Duisburg

 

Ein eindrucksvolles Konzert von Seiten des Orchesters und des Dirigenten, mit einer Solistin, bei der das hohe technische Können den musikalischen Ertrag überwog. 


Haydn: Sinfonie „Il Distratto“

Das Publikum hörte eine rundum erfreuliche und lebendige Darbietung, bei der wieder deutlich wurde, in welch fruchtbarer Weise die historische Aufführungspraxis, in der Thomas Hengelbrock fest verwurzelt ist, mittlerweile auch von den traditionellen Orchestern angenommen wird. Die Streicherbesetzung war deutlich reduziert gegenüber den beiden folgenden Werken, jedoch immer noch recht groß; eine kluge Disposition, denn der volle Klang ging eine glückliche Verbindung mit dem für dieses Werk recht üppigen Nachhall des Saales ein. Eine den guten Gesamteindruck keineswegs trübende Kritik betrifft die in diesem ersten Stück nicht immer perfekten Hörner sowie die Abschlüsse einiger Phrasen und Formteile, die nicht immer gänzlich homogen und einheitlich wirkten.

 

Prokofiev: Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 D-Dur op. 19

[Vergleichsaufnahme:

  • Julia Fischer mit dem Russian National Orchestra unter Yakov Kreizberg (2004)]

Orchester und Solistin verliehen diesem selten gespielten Werk einen äußerst spannungsreichen und klangfarblich eindrucksvollen Beginn. Alina Pogostkina bot in technischer Hinsicht eine hervorragende Leistung, wurde in der Folge jedoch den musikalischen Anforderungen dieser sehr abwechslungsreichen und vielgestaltigen Komposition nicht mehr in vollem Umfang gerecht. Sie ging in nur geringem Maß auf die vielen musikalischen Facetten des Konzertes ein, stattdessen wirkte ihr Spiel über längere Passagen eingeebnet und leider etüdenhaft. Auch war ihr Spiel in mehreren Passagen ein kleines Stück schneller als von Dirigent und Orchester, auf jene eher subtile Weise, die entsteht, wenn schnelle Passagen in unterschiedlichem Maße musikalisch erfüllt sind.

Dieses großartige Werk spielt sich keineswegs von selbst, die Interpreten müssen sich auf seine vielen Charaktere einlassen und sie, auch in idiomatischer Hinsicht, zur Geltung bringen. Dirigent und Orchester boten eine gute Leistung, die sich an die Spielweise der Solistin im erforderlichen Umfang anpasste.

Julia Fischers Einspielung, ihre erste große Aufnahme (bei Pentatone), könnte beeindruckender nicht sein und muss, auch klanglich sehr gelungen, als Referenzaufnahme dieses Werkes angesehen werden. In jeder noch so kleinen Phrase vibrierend vor Spannung und Musikalität, ist die gesamte Aufnahme mit großem musikalischen Sinn erfüllt und durch ein ideales Verhältnis zwischen Solistin und Orchester, ein gegenseitiges Verstehen gekennzeichnet.

 

Interpretation und das Üben von Etüden und etüdenähnlichen Passagen

Man tritt Prokofiev gewiss nicht zu nahe, wenn man die Spielweise mancher Passagen seines 1. Violinkonzerts in Pogostkinas Interpretation als etüdenähnlich bezeichnet; Julia Fischer zeigt ja, wie unglaublich viel großartige Musik in diesen Passagen steckt. Ein Konzerterlebnis wie dieses wirft jedoch erneut die Frage auf, wie die Prioritäten in der Ausbildung junger Musiker gesetzt werden sollten.

Immer wieder kann man die Meinung hören, zunächst müsse von den Studenten die Technik ihres Instruments gründlich beherrscht werden, dann erst dürfe das Musikmachen in den Vordergrund rücken. Welche Fokussierung auf das Technische! Leider passiert es oft, dass beachtliche musikalische Leistungen junger Musiker bei einer solchen Einstellung nicht recht gewürdigt werden, weil sie äußerlich noch von technischen Problemen überdeckt werden; diese sollen hier keineswegs unter den Tisch gekehrt, aber eben auch nicht dramatisiert werden. Das Musikalische lässt sich allerdings kaum messen, in einer Welt der perfekten Aufnahmen und der Wettbewerbe gerät es leicht aus dem Fokus und ist vielleicht auch manchen Lehrern und Juroren nicht so wichtig.

Natürlich stehen musikalische und technische Begabung bei Musikern und Musikstudenten nicht immer in dem wünschenswerten ausgewogenen Verhältnis zueinander. Ist aber die technische Begabung ausgeprägter, kann ohnehin nicht früh genug mit der Förderung der Musikalität begonnen werden.

Denn wie soll das funktionieren: viele Jahre nur technische Übungen absolvieren, dann plötzlich einen Hebel umlegen, und ab diesem Moment wird das Ganze allmählich oder gar plötzlich mit musikalischem Sinn ausgefüllt? Stattdessen sind noch so technische Übungen, auch Tonleitern, im Grunde leichter zu bewältigen, wenn der Student ständig nach Wegen sucht, ihnen nicht nur technisch, sondern auch musikalisch gerecht zu werden. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Motivation: Kann hohe Musikalität jahrelang brachliegen, ohne zu degenerieren? Unbedingt wünschenswert also ist eine parallel verlaufende Entwicklung und Förderung von Technik und Musikalität, die darauf achtet, die Technik stets im Dienste der Musikalität stehen zu lassen.

 

Bartók: Konzert für Orchester

[Vergleichsaufnahme:

  • RSO Berlin, Dirigent: Ferenc Fricsay (Mono, 1953)]

Hengelbrock und das WDR Sinfonieorchester boten eine überzeugende Darbietung dieses höchst anspruchsvollen Werkes. Hervorzuheben sind insbesondere die rhythmische Prägnanz, die klangliche Ausgewogenheit und die höchst musikalische Aufmerksamkeit, mit der die Instrumentengruppen aufeinander hörten und reagierten.

 

Idiomatik und Rhetorik in der Interpretation von Bartóks Musik

Elemente, die Fricsay, ein gebürtiger Ungar, in seiner Aufnahme mit dem RSO Berlin dem Werk noch hinzuzufügen vermag, sind einmal das Idiomatische, mit dem die Verwurzelung Bartóks in der Volksmusik seines Landes auf eine Weise spürbar wird, ohne die dieser Musik etwas von ihrem Sinn zu fehlen scheint. Denn das heißt unbedingt auch Vermeiden von sich verselbständigender Sentimentalität und Trivialität, einer durchaus immanenten Gefahr, wenn das Volksmusikhafte-Idiomatische mit ins Spiel kommt. 

Fast noch bemerkenswerter an Fricsays Aufnahme aber sind die sprachähnlichen, rhetorischen Elemente, die vollständig aus Bartóks Musik zu kommen scheinen und ihr einen großartigen Sinn geben sowie daneben auch den Hauptanteil daran tragen, dass der Hörer von dieser Aufnahme so gefesselt wird.

Nicht bei allen Komponisten ist die rhetorische Komponente in der Interpretation in gleichem Maße von Bedeutung, so ist etwa die Rhetorik, mit der Artur Schnabel die Musik Franz Schuberts so überwältigend darzustellen vermag, in seinen Interpretationen Beethoven zwar eindrucksvoll, aber keineswegs vollständig überzeugend.

Indem rhetorische Interpretationselemente im Gehirn des Hörers von Bereichen der Sprach- und nicht der Musikverarbeitung wahrgenommen wird, bietet sich dem hierfür begabten Interpreten eine zusätzliche Dimension der künstlerischen Kommunikation – wenn sie denn der Musik gemäß ist.

 

Zu schöner Schmelz? Die Akustik der Mercatorhalle Duisburg

Nicht genug loben kann man das Verschmelzen des Klanges der Holzbläser untereinander, genauso aber zusammen mit den Streichern als besonders bemerkenswerte Charakteristik dieses Jahr 2007 eröffneten Konzertsaales. Auf großes Orchester ausgelegt, gefällt der Klang unmittelbar, lässt allerdings nach einiger Zeit auch den gelegentlichen Wunsch nach etwas mehr Biss und kitzelnder Attraktivität aufkommen – vielleicht ließe sich mittelfristig noch etwas optimieren in der Abfolge und Intensität der frühen Reflexionen.

Während der Klang im Haydn und im Prokofiev ansonsten keinerlei Wünsche offen ließ, wirkte das Orchester im größer besetzten und perkussiveren Bartók merkwürdigerweise indirekter. Die Posaunen, hinten rechts platziert, klangen eher hart gegenüber Holzbläsern und Streichern, und die Kontrabässe, obwohl stark besetzt, wirkten punktförmig und konnten dem Gesamtklang kein wirklich überzeugendes Fundament verleihen.  Akustisch günstiger wären hier vermutlich nicht auf der rechten Seite, sondern breit hinter dem Orchester aufgestellte Kontrabässe gewesen. Etwas irritierend war im Bartók zudem, dass der Nachhall von Fortissimo–Stellen (bei einem Platz in der 21. Reihe) deutlich von vorne zu kommen schien und nicht, wie wünschenswert, ausgewogen aus allen Richtungen des großvolumigen Raumes.

Die Akustik des Saals könnte also von verfeinernder Detailarbeit sicher noch profitieren, wie sie in vergleichbaren neuen Sälen während oder nach den ersten Jahre des Betriebes meist stattfindet. Dann würde die Akustik noch mehr Werken und Besetzungen gerecht und vermutlich als wirklich gelungen bezeichnet werden können.

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